Offizieller ROSENROT-Pressetext
ROSENROT. Ein Wort wie ein Gedicht, voller Deutung und Bedeutung. Es vereint das Schöne mit dem Hässlichen, das Sanfte mit dem Grausamen, das Leben mit dem Tod. Ein Titel, wie er für das fünfte Rammstein-Album nicht passender hätte sein können. Das Berliner Sextett Till Lindemann (Gesang), Paul Landers (Gitarre), Christoph Schneider (Schlagzeug), Richard Z. Kruspe (Gitarre), Flake Lorenz (Keyboards) und Oliver Riedel (Bass) macht auf diesem Album das Unmögliche möglich – es führt zusammen, was eigentlich nicht zusammengehört: die Gebrüder Grimm und Johann Wolfgang von Goethe. Klingt abwegig, ist aber ein Stilmittel.
Rammstein werfen ihren Anker in die Tiefen der deutschen Literatur: Im Titel-Song "Rosenrot" verschmelzen sie das Märchen "Schneeweißchen und Rosenrot" mit Goethes "Heidenröslein". "Sah ein Mädchen ein Röslein stehen..." zitiert Lindemann Goethes großen deutschen Klassiker. Aber er zitiert nicht einfach, sondern gibt dem Ganzen eine eigene Note: die weibliche Form. Für solch hintersinnige Text-Arrangements ist Till Lindemann, ehemaliger Hochleistungsportler und Buchautor, bekannt – selbst wenn er sein Gespür für herzergreifende Reime, mitreißende Metaphern und stürmische Parabeln in der Öffentlichkeit gerne hinter einer rauen Schale versteckt.
Lyrisches Gepäck
Die Bilderflut von ROSENROT ist schier unendlich. Das Album steckt voller Geschichten von Menschen über Menschen, und dafür taucht es hinab in die tückischen Tiefen des seelischen Abgrunds. Bei ihrem Tauchgang fördern Rammstein vor allem eines zu Tage: die Probleme, Absurditäten und auch Anomalien, die sich hinter der Fassade des vermeintlich normalen, spießigen Alltags verbergen. "In meiner Kette fehlt kein Glied/Wenn die Lust von hinten zieht/Mein Geschlecht schimpft mich Verräter/Ich bin der Alptraum aller Väter" heißt es in "Mann gegen Mann", einem Song über den Kampf der Sinne eines gleichgeschlechtlich Liebenden. Doch so direkt sind nicht alle Songs auf ROSENROT. Die Inhalte verbergen sich im Dschungel der Worte, und sie erschließen sich nur denjenigen, die genau hinhören. Sie erfahren von Menschen mit einem unstillbaren, aber nie erfüllbaren Verlangen nach ihrem Gegenüber ("Feuer und Wasser"), der Macht der Urtriebe ("Zerstören") oder fatalen Missverständnissen ("Spring").
Ihr musikalisches Pendant finden diese Zeilen in erhabenen Riff-Walzen und atmosphärischen Keyboard-Wogen. Dreh- und Angelpunkt ist jedoch der pumpende Rhythmus-Motor. Wenn er die Taktzahl herunterschraubt, blüht Rammsteins romantische Ader auf – so zum Beispiel im einfühlsamen "Wo bist du", dem melancholischsten Song auf ROSENROT. Diese Kombination aus Höllentrip und einsamer Ruderfahrt macht das Album unnachahmlich, und viel mehr noch: Es zeigt einmal mehr die Klasse der Band. Blut, Schweiß und Tränen, so tiefgehend und doch so leichtfüßig.
Der Einheitsgedanke
Ein Album wie aus einem Guss, und das ist im Grunde ein Wunder. Die Lieder stammen nämlich nicht aus einer, sondern mehreren Recording-Sessions. Einige Songs entstanden bereits im Zuge der Aufnahmen zum 2004er-Meisterwerk REISE, REISE in den El Cortijo-Studios im spanischen Malaga. Andere Stücke wiederum produzierten die Berliner im Frühjahr 2005 im heimischen Teldex Studio.
Dass selbst bei einer Band wie Rammstein nicht immer alles sofort gut wird, beweist die Entstehung des Titelstücks "Rosenrot". Eigentlich sollte der Song auf REISE, REISE landen – doch Rammstein schickten das Stück wieder zurück in den Dornröschenschlaf. Erst jetzt, nach dieser Reifezeit, ist es nach Meinung der sechs Musiker bereit für seine Veröffentlichung. Die Ruhe und Bedächtigkeit bei der Auswahl ihres Liedguts ist typisch für Rammstein. Sie beruht auf dem demokratischen Prinzip, auf dem die gesamte Band-Ideologie fußt. Die Stimme eines jeden Mitglieds zählt gleich viel.
Dadurch sind die Berliner zu einer Einheit geworden. Und der Begriff Einheit bezieht sich nicht nur auf den inneren Zirkel, also die sechs Musiker, sondern auch auf ihr näheres Umfeld. Bei ROSENROT arbeitet die gleiche Mannschaft zusammen, die schon bei REISE, REISE dabei war: Produzent Jacob Hellner, Mischmeister Stefan Glaumann (Toytown Studio, Stockholm) und Mastermind Howie Weinberg (Masterdisk Corporation) heißen die Spezialisten, die für den einzigartigen Sound der Berliner verantwortlich sind.
Globaler Ruhm
Dieser Kreis von Vertrauten ist es, der Rammstein Sicherheit gibt. Und die brauchen sie auch, wenn sie nicht vom Rummel um Verkaufszahlen, Chart-Platzierungen oder edelmetallene Auszeichnungen überrollt werden wollen. Rammstein sind derzeit Deutschlands erfolgreichster Musikexport der Nachkriegsgeschichte. Im Gegensatz zu vielen ihrer Kollegen beschränkt sich ihr Ruhm nicht auf die Grenzen der BRD. Rammsteins Erfolg ist international. Egal ob Russland, Frankreich, Großbritannien oder Mexiko, überall bietet sich der Band das gleiche Bild: Tausende von Fans singen lauthals ihre Texte mit.
Auch andere Musiker zollen den Deutschen Respekt, in Interviews, in Dankeslisten in CD-Booklets, manche auch mit dem Remix eines Rammstein-Songs. Größen wie die Pet Shop Boys und Arthur Baker haben "Mein Teil" von REISE, REISE neu arrangiert. Jetzt ist die erste ROSENROT-Single "Benzin" an der Reihe: Ad Rock von den Beastie Boys, die schwedischen Metal-Experimentalisten Meshuggah und auch die finnischen Cello-Rocker Apocalyptica haben sich daran gemacht, den Rammstein-Brennstoff nach ihren Vorstellungen umzuwandeln.
Viele Gesichter
Rammsteins Erfolg basiert vor allem auf zwei Dingen: Eigenständigkeit und Kompromisslosigkeit. Diese beiden Elemente sind bereits im Jahr 1995 vorhanden, als die Geschichte der Band beginnt – damals noch mit primitiven Rhythmen und groben Worten. Die Kritiker machen Wirbel, doch Rammstein lassen sich nicht beirren. Sie gehen ihren Weg weiter, immer auf der Suche nach dem perfekten Song und der passenden Interpretation. Denn Rammstein haben erkannt: Es sind nicht allein die Lieder, die die Menschen begeistern. Es ist auch die Optik.
Jeweils passend zur Musik wandeln Rammstein ihr Aussehen: Bei HERZELEID (1995) spielen sie den geölten Macho, bei SEHNSUCHT (1997) schmücken sie sich mit Schminke und Metall-Adaptionen, bei MUTTER (2001) tragen sie Verstümmelungen zur Schau, und bei REISE, REISE (2004) sind sie Kosmopoliten im Anzug und mit Waffen in der Hand. Doch sie übertreiben es nicht mit ihrem Mut zur Weiterentwicklung. Das Element, das von Anfang an zentraler Bestandteil des Band-Images ist, steht immer noch im Mittelpunkt: Feuer. Es brennt, lodert, flackert oder explodiert – punktgenau und in immer neuen Formen: schaurig, schön, erschreckend, hitzig, wahnwitzig.
Allesamt Attribute, die auch auf Rammsteins Musik zutreffen: ROSENROT bildet da keine Ausnahme. Es steht in einer Reihe mit den vier bisherigen Alben, führt den Hörer aber auch zu bislang unbekannten Plätzen voller Extreme und Doppeldeutigkeiten. Es scheint, als wären Rammstein die letzten deutschen Romantiker: Ruppig wie die Gebrüder Grimm, feinsilbig wie Goethe. Eine Band der Gegensätze, eine ROSENROTE Vereinigung. Blutig, und zugleich wunderschön.
(von Thorsten Zahn)